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Die Kunst der Abstraktion und der feinen Zwischenräume

 

Ein Thema künstlerisch anzusprechen und auszudrücken, ist relativ einfach. Der Sachverhalt wird bildhaft gegenständlich dargestellt und mit einem Titel versehen. Der Betrachter bekommt die Botschaft unmittelbar präsentiert.

 

Man kann aber auch gesellschaftspolitische und historisch relevante und brisante Themen zur Diskussion bringen ohne sich dabei bildnerisch zu sehr von einem Naturvorbild leiten zu lassen, wie es Karin Seitz in ihrem vielschichtigen Kunstschaffen eindrucksvoll zeigt. Kunst, so abstrakt sie erst einmal erscheint, entsteht nie in einem Vakuum. Sie bedarf stets der Auslöser aus unserer realen Welt. Das dunkle Kapitel der Hexenverfolgung oder das aktuelle Flüchtlingsgeschehen sind beispielsweise Themen mit denen sich Karin Seitz intensiv beschäftigt. Das Thema gibt das Material und dessen Verarbeitung vor. Sie bietet zuerst einmal mit ihren künstlerischen Mitteln wie mit mal als Solitär, mal als Geflecht auftretenden Schnüren, mit rostigen Nägeln bestickten Korkrinden, Packpapieren, handgeschöpften Papieren, Haaren oder der Farbe Weiß dem Betrachter ein auf den ersten Blick unverfängliches Sehangebot. Dabei werden, wenn etwa die als Symbol der Unschuld besetzte Farbe Weiß das Thema der Hexenverfolgung behandelt wird, unsere Seh- und Denkgewohnheiten zuweilen in Frage gestellt.  Fragen aufwerfen, keine allzu eindeutigen, die Sichtweise  zu sehr einengenden Antworten zu geben, das ist das Merkmal dieser Kunst. Der Betrachter wird dadurch schließlich angeregt, sich sein eigenes Bild zu machen, sich  seine eigene Meinung zu bilden.  Alten Dingen ein neues Leben zu geben, an vergangene Zeiten in visueller Form noch zu erinnern, aber sie künstlerisch zu etwas Neuem zu  überführen, das ist das Prinzip der Materialcollagen.

 

Die Reduktion auf das Wesentliche, die Abstraktion ist eine elementare Eigenschaft dieser Kunst. Manchmal erzielen sparsam, pointiert und fein dosierte Gesten dabei eine weitaus größere Wirkung als bombastische Gebärden. Karin Seitz ist  gerade  mithilfe der Abstraktion in der Lage, das Unbeschreibliche festzuhalten oder das Nichtdarstellbare abzubilden und leistet dabei wichtige Erinnerungsarbeit und ungewohnte Perspektiven auf die aktuellen Tagesereignisse. Das ist zunächst einmal sehr persönlich motiviert, somit aber auch ein Kennzeichen souveräner Kunst. Der Betrachter kann sich je nach Erfahrungshorizont und seiner Bereitschaft, das vertraute Terrain zu verlassen seine individuelle Sicht auf die Dinge formen. Zu finden sind diese nachhaltigen Kopfbilder in dem von der Künstlerin angelegten Denkraum und den die Wahrnehmung schärfenden subtil ausgeloteten Zwischenräumen, die schließlich das Innere, den wahren Kern der Kunstwerke sichtbar machen.

 

Stefan Simon

2020  Kunst in Zeiten von Corona

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